Saarbrücker Zeitung am 23.08.2022 – SERIE GEWERBEGEBIET AM NUSSKOPF
In Schiffweiler ist eine Unternehmensgruppe aus der Pharma-Wirtschaft auf großem Wachstumskurs. Neben dem Handel mit Medikamenten sollen dort bald schon Wirkstoffe produziert werden. Der Betriebsleiter Thomas Engler erklärt, warum trotzdem noch niemand die Firma kennt.
Am Nußkopf 35 sitzt eine Firmengruppe, die auf den ersten Blick nicht gleich zu entschlüsseln ist. „Es ist etwas komplex“, sagt der Betriebsleiter Thomas Engler. Aktuell operieren drei Firmen am Standort, doch bald sollen weitere Unternehmen dazukommen. Ein Teil des Firmengeländes ist deshalb eine riesige Baustelle. Die Unternehmen sind bisher mit Handel und Logistik von Medikamenten beschäftigt.
Doch zukünftig wollen die Gesellschafter rund um Geschäftsführer Ahmad Mansour und Bianca Bohrer auch in die Forschung und Produktion von Arzneimitteln einsteigen. Die Vision: ein Pharmacampus in Schiffweiler. Thomas Engler versucht, Licht in das Firmengeflecht zu bringen. Als Erstes ging im Jahr 2018 „Europharm“ an den Start. Engler nennt den Großhandel für Medikamente das Zugpferd der Gruppe. Europharm kauft Arzneimittel bei der Industrie ein und vertreibt diese als Netzwerkversorger an mehrere hundert Schwerpunkt-Apotheken in ganz Deutschland. „Das sind größere Apotheken mit teils eigener Herstellung, die wiederum auch Krankenhäuser versorgen“, erklärt Engler. Auch in Schiffweiler hat Europharm einen Kunden. „Die Glück-Auf-Apotheke kauft hin und wieder Cannabis bei uns.“ Doch dieser Geschäftszweig ist bei der zweiten Firma angesiedelt.
„1az Pharm“ importiert Arzneimittel aus dem europäischen Ausland, kennzeichnet die Verpackung um und verkauft sie dann in Deutschland weiter. „Das ist ein ganz streng geregelter Prozess mit engen Vorgaben von der europäischen Arzneimittelbehörde in Amsterdam“, erklärt Engler. Das Geschäft funktioniert, weil Arzneimittelhersteller internationale Unternehmen sind, die ihre Produkte in der EU zu unterschiedlichen Preisen auf den Markt bringen. Da in Deutschland oft höhere Preise gelten, kauft „1az Pharm“ Medikamente in Süd- und Osteuropa ein und kann diese Original-Arzneimittel dann günstiger als der Hersteller in Deutschland anbieten.
Dafür tauschen Mitarbeitende in Schiffweiler den Beipackzettel aus und labeln die Verpackung um, sodass diese auf dem deutschen Markt verkauft werden kann. Das Unternehmen „1az Pharm“ hat sich auf hochpreisige Arzneimittel spezialisiert, unter anderem aus der Onkologie und der Rheumatologie. „Die Kosten sind durchschnittlich im vierstelligen Bereich“, sagt Engler. Der Betriebsleiter beschreibt den Arzneimittelimport als politisch gewollten Vorgang, um die Preise für Medikamente runterzubekommen. „Die Kassen müssen das erstatten, und mit unseren Importen zahlt die Gemeinschaft weniger für die gleichen Produkte“.
Neben herkömmlichen Medikamenten importiert das Unternehmen auch Cannabis. Die Blüten kommen aus Holland oder Israel und lagern auf dem Firmengelände in einem riesigen, begehbaren Tresor. Der Markt für medizinisches Cannabis wächst, doch das Angebot von fertig verpackten Blüten ist noch klein. „1az Pharm“ kann im Monat von einem Hersteller gerade mal zwei Kilogramm importieren. Deshalb hat die Firma einen sogenannten Herstellungsraum gebaut. Statt nur fertig verpackte Ware zu vertreiben, will die Firma große Mengen Cannabis in Bulkware (also in großen Gebinden, aus denen in die zur Abgabe an den Endverbraucher bestimmten Packungen abgefüllt und abgepackt werden) einkaufen und in dem geschützten Raum in Apotheken übliche Mengen umpacken. „Das, was wir machen wollen, ist etwas komplett Neues“, sagt Engler. So neu, dass das Unternehmen bei den Behörden auf Granit beißt. Sie seien aktuell im fünften Anlauf, den Herstellungsraum genehmigen zu lassen, doch das zuständige Ministerium für Gesundheit bewege sich nicht. So bleibt der bestens gesicherte Raum inmitten der Firma bislang verwaist.
Die dritte Firma am Standort ist das Logistikunternehmen „TempTrans“. Seit der Gründung im Jahr 2020 bietet die Firma temperaturgeführte Transporte für Arzneimittel als Dienstleistung an. Außerdem liefert TempTrans die Produkte von Europharm und „1az Pharm“ zu den Apotheken. Die Firmengruppe hat knapp 50 Mitarbeitende, einen Pharma-Außendienst für ganz Deutschland und hat im letzten Jahr einen Umsatz „im dreistelligen Millionenbereich“ gemacht, wie Engler erklärt.
Auf seinen eigenen Lebenslauf angesprochen, reagiert Thomas Engler zugeknöpft. Der Mann arbeitete zehn Jahre für Kohlpharma in Merzig und danach in seiner eigenen Importfirma. Seine Zurückhaltung komme daher, dass man in der Pharmabranche gerne unter dem Radar bleibe. Das trifft auch auf die Schiffweiler Firmengruppe zu: „Niemand wusste, was wir hier machen“. Doch inzwischen kommen sie nicht mehr um Öffentlichkeitsarbeit herum. Denn: „Wir suchen ständig Leute.“ Für die Zukunft wird die Gruppe nämlich viel mehr Personal brauchen. Sie investiert aktuell einen zweistelligen Millionenbetrag und baut zwei Herstellungslinien sowie die Wirkstoffproduktion in einer neuen Fabrik am Standort. Die Idee kommt aus der letzten Krise: „Viele wichtige Wirkstoffe, wie zum Beispiel der für Paracetamol werden größtenteils in China und Indien hergestellt.
Während der Pandemie sind die Rufe laut geworden, die Produktion wieder zurück nach Deutschland zu bringen.“ In der neuen Fabrik soll die „Pharma Saar Manufaktur“ (PSM) an Forschung, Entwicklung, Produktion von Wirkstoffen und Abfüllung von Fertigarzneimitteln arbeiten. Die Herstellungslinien sind auf eine Abfüllkapazität von 30 Millionen Einheiten pro Jahr ausgelegt. „Wir brauchen über 100 Leute zusätzlich hier“, sagt Engler. Ihm ist der Respekt vor der Herausforderung anzusehen, den Pharmacampus Schiffweiler mit Leben zu füllen.
Artikel und Fotos von: Jakob Hartung Schiffweiler
Erscheinen in der Saarbrückener Zeitung am DIENSTAG, 23. AUGUST 2022